«Kirche und Politik» im Gespräch mit dem Grossen Rat

Den Landeskirchen des Kantons Aargau ist es ein Anliegen, mit Politikerinnen und Politikern zu aktuellen gesellschaftlichen und politischen Themen im Dialog zu sein. Dazu laden Sie einmal jährlich zum Mittagsgespräch «Kirche und Politik» in den Grossratskeller ein. In diesem Jahr stand das Thema «Ökumenisch verantwortete Seelsorge» im Fokus. Dieser Dienst, den die Aargauer Landeskirchen im Gesundheits-wesen des Kantons Aargau anbieten, wird Jahr für Jahr von rund 5’400 Patientinnen, Bewohnern und Klientinnen im Gesundheitswesen in Anspruch genommen und geschätzt, unabhängig von Weltanschauung oder religiöser Zugehörigkeit. In der anschliessenden Fragerunde galt das Interesse den Themen Fachkräftemangel, Mitgliederschwund und Kirchensteuern.

Für die Aargauer Landeskirchen geht Ende 2022 eine Legislaturperiode zu Ende. Ein Highlight der letzten vier Jahre ökumenischer Zusammenarbeit war die Unterzeichnung der Vereinbarung zwischen den Landeskirchen und dem Kanton betreffend die ökumenisch verantwortete Seelsorge in Institutionen des Gesundheitswesens im Kanton Aargau. Dies war auch das Hauptthema des jährlichen Gesprächs zwischen den öffentlich-rechtlichen Landeskirchen einerseits sowie Politik und Staat andererseits.

Nach ihrem arbeitsintensiven Vormittag folgten die Grossrätinnen und Grossräte der Einladung der Landeskirchen zum Austausch beim Mittagessen im Grossratskeller. Begrüsst wurden Sie von den Vertreterinnen und Vertretern der Landeskirche mit den Kirchenratspräsidenten Christoph Weber-Berg (Reformiert), Luc Humbel (Römisch-Katholisch), und dem Vizepräsidenten der Christkatholiken Jürg Hagmann.

Einzigartige ökumenische Zusammenarbeit

Wie die reformierte Kirchenrätin Catherine Berger in ihrem Einstiegsreferat erläutert, übernehmen die Landeskirchen im Kanton Aargau seit dem Vertrag aus dem 1973 im Auftrag des Staates die bisher von ihm finanzierte Seelsorge in den staatlichen Krankenhäusern. Im Dezember 2019 unterschreiben die reformierte und die katholische Landeskirche sowie das Bistum Basel einen Zusammenarbeitsvertrag als Basis für die gemeinsam verantwortete Seelsorge. Eine ökumenische Zusammenarbeit, wie sie bisher in der Schweiz einzigartig ist. In Institutionen ab 150 Betten werden die Seelsorgestellen gemeinsam geführt mit dem Ziel, eine qualitativ hochstehende Seelsorge als gesamt­gesellschaftliche Leistung an alle Menschen – Patientinnen, Bewohner, Angehörige und Mitarbeitende der Institutionen zu erbringen. Neben der gemeinsamen strategischen und operativen Leitung werden die Stellen auch gemeinsam finanziert und Bewerbende rekrutiert. Damit bilden sie eine gemeinsame Grundlage für die Qualitätssicherung und Weiterentwicklung der Seelsorge, zum Beispiel durch Fortbildung.

Im zweiten Teil gehen die Kirchenratspräsidenten auf die aktuelle Situation und die Reformprozesse der Landeskirchen ein.

Luc Humbel, Kirchenrat der Römisch-Katholischen Kirche im Aargau berichtet über Weltsynode 2023, die von Papst Franziskus einberufen wird. Dazu hat er unter anderem mit Plakaten seit dem letzten Jahr mit einem «offenen Ohr» alle Gläubigen eingeladen, ihre Meinungen und Anliegen zu äussern. Die Ergebnisse wurden inzwischen in allen Bistümern der Schweiz gesammelt und werden nun kontinental an der europäischen synodalen Versammlung in Prag vom 5. bis zum 12. Februar 2023 diskutiert. Zusammen mit Bischof Felix Gmür, Präsident der Schweizer Bischofskonferenz, werden auch Tatjana Disteli, Generalsekretärin der Röm.-Kath. Landeskirche Aargau, Helena Jeppesen von Fastenaktion und Cristina Vonzun von catt.ch mit in Prag dabei sein.

Der Vizepräsident der sogenannten «kleinen Kirche», Jürg Hagmann der Christkatholischen Landeskirche, berichtet über die Wanderausstellung zum 150-Jahr-Jubiläum, die ab 15. Januar im Stadtmuseum Aarau zu sehen sein ist. Der Kanton Aargau hat mit 3000 Mitgliedern die grösste Anzahl Christkatholiken im Verhältnis zu anderen Kantonen. Im Zentrum der Wanderausstellung stehen vier Spannungsfelder, mit denen sich die christkatholische Kirche in ihrer ganzen Geschichte beschäftigt. Die Finissage wird im September 2026 in Rheinfelden stattfinden, genau 150 Jahre nach der ersten Bischofsweihe im Jahr 1876.

Auch die Reformierte Landeskirche befindet sich gemäss Christoph Weber-Berg, Kirchenratspräsident, im Reformprozess und «reformieren» sich in Arbeitsgruppen über die nächsten beiden Amtsperioden bis zum Jahr 2030. Der Aargau sei ein vielfältiger Kanton bezüglich Regionen, geografisch, soziodemografisch wie auch die Kirchen im Kanton. «Meine Vision ist es, dass man 2 bis 3 zufällig ausgewählte Personen an einen Tisch nehmen könnte, und diese würden von Herzen sagen: Ja, zusammen sind wir Kirche», meint er dazu und lädt zu den Mitreden-Anlässen im Januar an verschiedenen Orten im Aargau ein.

Wie gehen die Landeskirchen um mit dem Fachkräftemangel?

Mit dieser Frage einer Grossrätin startete die Fragerunde zum Schluss des Mittags­gesprächs. Luc Humbel erklärt dazu, dass in der Römisch-Katholischen Landeskirche zwei Bereiche betroffen sind: Zum einen gibt es die pastorale Seite, wo schon länger Fachkräftemangel herrsche, weil sich Menschen nicht mehr dazu berufen fühlen, in diesen Beruf einzusteigen. Dieser Personalmangel konnte bisher durch Seelsorgende aus Deutschland kompensiert werden. Doch nun zeigt sich zeitverzögert der Effekt dort auch, so dass aktuell Kampagnen geführt werden wie «Chance Kirchenberufe». Im Bereich der weltlichen Anstellungen spürt die Landeskirche den Fachkräftemangel enorm. In der Budgetdebatte wurde dazu ein klares Signal gesetzt und dem Personal als wichtigste Ressource einen Teuerungsausgleich von 3 % gesprochen. Doch auch die Kirche spürt den Konkurrenzkampf und den Abfluss von Personal zum Beispiel nach Zürich.

Die Reformierte Landeskirche im Aargau begegnet dem Thema mit der Schaffung eines Quereinsteigerstudiums. Bei der Spitalseelsorge ist noch kein Mangel zu spüren, weil dieser Bereich attraktive Entwicklungsmöglichkeiten für Pfarrerinnen und Pfarrer mit entsprechender Weiterbildung bieten. Angehörige sollen dabei unterstützt und begleitet werden, ganz im Sinne der neuen «Spiritual Care».

Wie stark wirkt sich der Mitgliederschwund auf die soziale Arbeit der Kirchen aus?

Auf schweizerischer Ebene wurde eine Erhebung durch Ecoplan durchgeführt, die zeigt, dass bis 2050 ein Viertel der Mitglieder weg sein wird. Kantone wie der Aargau, die keine Kirchensteuern von juristischen Personen erheben, werden davon direkt betroffen sein. Das bedeutet, die Landeskirchen werden bis in 25 Jahren das karitative und seelsorgerische Angebot nicht gleich umfassend und flächendeckend anbieten können, wie aktuell. Parallel dazu gilt es die Menschen zu sensibilisieren, für was die Kirchensteuern eingesetzt werden. In der katholischen Kirche in der Schweiz geht zum Beispiel kein Geld nach Rom, 83 Prozent bleibt in der Gemeinde vor Ort. Das bedeutet, wenn jemand aus der Kirche austritt, fehlt das diakonische Wirken in seiner Gemeinde, was sich die Menschen oft nicht bewusst sind. Dazu hat die Römisch-Katholische Landeskirche die Webseite kirchensteuern-sei-dank.ch lanciert, die genau zeigt, was mit dem Franken passiert.

Wie engagieren sich die Landeskirchen politisch?

Es gibt einen Unterschied zwischen den Kirchen und den kirchlichen Hilfswerken. Die Landeskirche ist eher zurückhaltend mit politischen Äusserungen, Hilfswerke und Kirchgemeinden sind da freier. In der Regel könne man machen, was man wolle, denn so oder so werden Unmutsbezeugungen geäussert, meint Christoph Weber-Berg. Es sei wichtig hinzuschauen, wo sich ein Engagement lohne. Was die Pandemiephase betreffe, seien die Kirchen zu Beginn beim Bund vergessen worden, gerade der wichtige Umgang mit Beerdigungen wurden nicht separat geregelt. Um so mehr wurde das Engagement der Kirchen geschätzt, sie haben sich eingemischt, Regelungen verlangt und konnte so auch die so wichtige Seelsorge in den Spitälern für die Pandemiebetroffenen fortsetzen. Luc Humbel appelliert daran, dass die Kirche eine Stimme in der Politik haben muss, um auch in Zukunft nicht vergessen zu gehen.

Weitere Informationen zum Fokusthema: Seelsorge im Sinne einer spezialisierten Spiritual Care

Die WHO postuliert die vier Dimensionen von Gesundheit: Körperlich, psychisch, sozial und spirituell. Die Begleitung spiritueller Nöte hat einen positiven Einfluss auf das Wohlbefinden der Patientinnen und Patienten und hilft Kosten zu senken. Die Seelsorge im Sinne einer spezialisierten Spiritual Care wird immer mehr zu einer Aufgabe des Gesundheitswesens. Auch während der Pandemiephase konnten die Seelsorgerinnen und Seelsorger die stark geforderten Pflegenden der Spitäler, Kliniken und Heime in Situationen von emotionaler Überlastung auffangen.

Die Anforderungen an die Seelsorgerinnen und Seelsorger sind hoch. Neben einer theologischen Ausbildung plus einer Ausbildung in psychosozialer Begleitung und Pastoralpsychologie auf CAS-Niveau verfügen sie über Empathie, Ritualkompetenz, Reflexionskompetenz auf die eigene spirituelle Verwurzelung, Interdisziplinarität und Sprachfähigkeit im interreligiösen Dialog. Zudem braucht es die Integration in die Abläufe und Informationsflüsse der Institution – als Voraussetzung zum Aktivwerden, wenn eine spirituelle Not vorhanden ist – dies setzt wiederum die Wahrnehmung dieser Not beim medizinischen Personal voraus. Die Qualität nimmt zu, wenn die Einsätze der Seelsorgenden als Einsätze von Fachpersonen verstanden werden, welche zum Gesundheitssystem dazugehören.

 

In 30 Institutionen für über 5'400 Patientinnen, Bewohnern und Klientinnen

Die ökumenische Seelsorge wird aktuell im Kanton Aargau in 30 Institutionen wahr­genommen für 2’100 Patientinnen und Patienten in den Kliniken KSA, KSB, PDAG, HKA und Klinik Barmelweid, 900 Patientinnen und Patienten in den Regionalspitälern, 1’600 Bewohnerinnen und Bewohner in den grossen Pflegeheimen, 700 Patientinnen und Patienten in der Rehabilitation, 140 Klientinnen und Klienten in Spezialeinrichtungen wie Hasel und Murimoos, sowie für alle An- und Zugehörige.

Darüber hinaus leisten die Seelsorgerinnen und Seelsorger in den Kliniken an 365 Tagen, während 24 Stunden rund um die Uhr Pikett-Dienst auch ausserhalb der Präsenzzeiten und sind als Care Team unterwegs, zum Beispiel als Begleitung für Mitarbeitende nach belastenden Erfahrungen wie z.B. Suizid eines Patienten oder Tod einer Arbeitskollegin, oder zur Weiterbildung für Mitarbeitende über die Bedeutung von Sterben und Tod in verschiedenen Religionen.

 

Eine erste Auswertung zeigte, wie wichtig die spezialisierte Spiritual Care als Teil der Gesundheitsversorgung nach Innen und nach Aussen ist und wie die Verbindlichkeit in Standards und Präsenz die Glaubwürdigkeit stärkt. Die Integration in die Institutionen hat teilweise noch Luft nach oben, wobei grosse Unterschiede zwischen den verschiedenen Institutionen herrschen. Oft brauche es separate Vereinbarungen der Landeskirchen mit den einzelnen Institutionen und separate Regelungen zum Umgang mit Patientendaten. Wünschenswert wäre eine generelle gesetzliche Regelung des aufgabenbezogenen Zugangs zu Patientendaten

 

Finanzierung und Ausblick der ökumenisch verantworteten Seelsorge

Finanziert wurde das Angebot in den letzten Jahren etwa von der Hälfte der Bevölkerung über die Kirchensteuern. Die Co-Finanzierung des Kantons seit 2022 ermöglicht die Stabilisierung auf dem heutigen Stand. Wobei die neue Regelung «Ambulant vor Stationär» den Verteilschlüssel für Seelsorge nach Bettenzahl zu einem Auslaufmodell macht, und eine neue Logik in der Verteilung der personellen Ressourcen braucht.

Zukünftig soll die Seelsorge in der mobilen spezialisierten Palliative Care Einzug halten, wie sie seit zwei Jahren in der Palliative Spitex Suhrental + integriert ist und eine Palliative Care ermöglicht, die sich an den aktuellen Standards orientiert. Auch das Potential der offenen Seelsorge in Alters- und Pflegeheimen ist gross, insbesondere angesichts zunehmender dementieller Erkrankungen, der rasanten Entwicklung von Palliativ Care und der Belastung von Mitarbeitenden. In rund 100 Institutionen der Langzeitpflege gibt es bisher nur die Seelsorge für die Mitglieder der Landeskirchen, die durch die Kirchgemeinden organisiert wird.